Die Olympischen Spiele in Tokio neigen sich dem Ende entgegen. Am Ende steht traditionell der Marathonlauf der Männer. Eine Lauf-Disziplin fehlte dagegen mal wieder, obwohl sie eigentlich alle lieben. Gemeint ist der Crosslauf, der tatsächlich eine olympische Vergangenheit hat: Von 1912 bis 1924 war er olympische Disziplin. Dass er kurzfristig zu den Spielen zurückkehrt, ist ausgeschlossen. Letzter Olympiasieger bleibt daher der bis heute sehr berühmte Paavo Nurmi, der in damals in Paris in einer wahren Hitzeschlacht Gold holte. Nurmi gewann auch mit seinem Team das begehrteste aller Edelmetalle.
Dass der Crosslauf zurückkehren könnte, zeigen zuletzt mehrere Entwicklungen – sie blieben allerdings, mit Blick auf die Spiele 2024 in Paris, ohne Erfolg. So stand der Crosslauf im Programm der Olympischen Jugendspiele in Buenos Aires 2018. Und die wiederum gelten als Versuchslabor für die „großen“ Spiele. 1500m, 3000m und 2000m-Hindernisläufer rannten bei den Jugendspielen ein Rennen in ihrer Disziplin und dann noch einen 4000m-Crosslauf. Wer die wenigsten Punkte sammelte, war der Sieger. Bekannt ist auch schon seit einiger Zeit, dass der Leichtatheltik-Weltverband World Athletics (bis 2019 International Association of Athletics Federations) den Crosslauf wieder ins Olympische Programm hiefen möchte: „Allerdings extremer und kantiger“, wie er in einer Pressemeldung beschreibt, um ein neues Publikum anzulocken. „Die Olympischen Spiele 2024 in Paris wären eine gute Zeit für die Rückkehr zu den Olympischen Spielen“, sagte der Präsident der IAAF, Sebastian Coe. „Wir sehen die Einbeziehung von Cross Country in das Programm für die Olympischen Jugendspiele in Buenos Aires als ersten Schritt auf dem Weg zurück zum Hauptprogramm der Olympischen Spiele.“ Der Verband hatte daraufhin beim Internationalen Olympischen Komitee die Rückkehr für 2024 beantragt. Vergeblich, im Programm von Paris taucht der Crosslauf nicht auf. Vielleicht lag das auch am leicht verworrenen Modus, den man sich ausgedacht hatte: Geplant war eine gemischte Staffel mit zwei Männern und zwei Frauen, die auf einem 2,5 Kilometer langen Rundkurs je zweimal laufen und damit auf insgesamt 20 Kilometer kommen. Einzelwertungen waren nicht vorgesehen. Warum das Vorhaben scheiterte, ist leider nicht herauszufinden. Bekannt ist aber, dass das IOC seine Spiele eher reduzieren möchte anstatt aufzublasen. So fällt zum Beispiel in Paris (und wahrscheinlich auch folgend) der Wettbewerb der 50 Kilometer-Geher zugunsten einer Staffel aus. „Der Leichtathletik-Weltverband (World Athletics) reagierte in einem Statement wenig überraschend enttäuscht: Der Crosslauf ist eine aufregende Sportart, die weltweit wächst. Daher sind wir enttäuscht, dass er nicht auf dem Programm für Paris 2024 steht, erst recht durch das Erbe der Olympischen Spiele 1924. Trotzdem sind wir vom Produkt Crosslauf überzeugt und werden zukünftig daran arbeiten, dass das IOC unsere Vision realisiert“, heißt es auf der Website Run Austria (https://www.runaustria.at/2020/12/09/crosslauf-wird-2024-nicht-olympisch/).

Was mit „extremer und kantiger“ gemeint ist, wurde beim Blick auf die Crosslauf-WM 2019 in Aarhus, Dänemark, schon deutlich. Am 30. März 2019 liefen die Cracks unter anderem über das Dach eines Museums. Es geht nicht mehr bloß durch ein Stadion mit ein bisschen Wiese und paar Anstiegen drum herum. So hieß eine der wichtigsten Empfehlungen des IAAF-Länderkomitees in Sevilla vor einigen Jahren, dass Cross-Country-Rennen in Richtung eines extremeren, edrigeren Stils gehen sollten, um ein neues Publikum sowie eine neue Art von Cross-Country-Runner für die Disziplin zu gewinnen.

Der mehrfache Deutsche Crosslauf-Meister Richard Ringer kann das nur unterstreichen: „Es sollte nicht über Strecken wie bei der Cross-EM 2013 in Belgrad, 2015 in Toulon oder 2017 in Samorin gehen. Diese Strecken auf einer Pferderennbahn oder nur auf einer Wiese sind sogar mit normalen Laufschuhen zu bewältigen, was nichts mit Crosslauf zu tun hat. Ich stelle mir vor, es abwechslungsreich zu gestalten. Es muss schmutzig werden, mit matschigen Stellen und auch durch Sand und natürlichen Hügeln.“ Und Deutschlands Spitzenläufer Philipp Pflieger bringt es auf den Punkt: „Wieder weg von Golfrasen-Cross à la USA und wieder zurück zu einem anspruchsvollem „Geläuf“, zu einem selektiven Kurs, viel Matsch, Hindernisse.“ Den Weg zurück zu den Spielen soll auch eine neue internationale Serie ebnen, die darauf abzielt, die Popularität und Reichweite der Disziplin zu steigern. Sie soll auf die Cross Country Permit-Serie (https://worldathletics.org/competitions/world-athletics-cross-country-permit) aufbauen. „Das Wiederbeleben einer internationalen Crosslauf-Serie finde ich tatsächlich eine spannende Idee. Ob das dann für mich relevant sein kann, hängt auch immer mit der Platzierung im internationalen Rennkalender zusammen. Das muss man dann erst einmal abwarten“, sagte uns Pflieger, der damit aber auch aufzeigt, dass der jeweilige Athlet sich zwischen Cross, Straße und Bahn entscheiden muss. Alles geht eben nicht. Von einer möglichen Rückkehr zu den Olympischen Spielen war er ebenfalls angetan: „Kurz und knapp gesagt: Ich stehe der Sache positiv gegenüber. Ein Vorteil ist sicherlich, dass es sich zu einer tollen Plattform mit internationaler (TV-) Aufmerksamkeit für den Laufsport entwickeln könnte – vor allem durch die sicher spektakulären Bilder. Als Nachteil sehe ich, wenn überhaupt, dass sich arrivierte Athleten zwischen Disziplinen entscheiden müssen (Cross oder Bahn/Straße) und dadurch eventuell Aufeinandertreffen von großen Namen etwas weniger werden.“

Elena Burkard, in Tokio im Hindernislauf über 3000 Meter Sechste im Vorlauf und damit leider vorzeitig raus, ist geradezu begeistert von der Idee, Crosslauf wieder ins olympische Programm zu hieven: „Ich fände es großartig, wenn Cross wieder olympisch werden sollte. Es ist eine klasse Sportart, die sicher auch das Potential hat, ein breiteres Publikum anzusprechen als das reine „im Kreis laufen.“ Auch Anna Gehring, ebenfalls eine sehr erfolgreiche (Cross-)Läuferin, sagt: „Generell finde ich die Idee klasse! Der besondere Reiz am Crosslauf besteht für mich auf der einen Seite darin, dass es wirklich noch um den Kampf Mann gegen Mann beziehungsweise Frau gegen Frau geht. Auf der Bahn dreht sich alles um Zeiten (…) Im Crosslauf, wo die Zeiten sowieso von vornerein egal sind, weil die Streckenlänge meistens nicht genau vermessen und der Streckenverlauf von Rennen zu Rennen unterschiedlich ist, ist der Ausgang der Rennen unvorhersehbarer. Vorleistungen von Bahn- oder Straßenrennen sind hier meistens nur bedingt aussagekräftig. Außerdem findet man in den Starterfeldern Athleten, die im Sommer auf der Bahn oder der Straße die verschiedensten Strecken laufen. Beim Crosslauf messen sich 800m-, Hindernis- und Marathonläufer in einem Rennen.“

Nach der Absage des IOC für Paris müssen sich die Athleten allerdings gedulden. Wie oben erwähnt, gibt der Weltverband das Vorhaben, nun für 2028 in Los Angeles, nicht auf – mit welchen Chancen, bleibt offen. Gut möglich, dass deswegen bald schon wieder eine Idee aus der Schublade geholt wird, die einst von den drei ehemaligen Spitzenläufern Haile Gebrselassie, Kenenisa Bekele und Paul Tergat vor einem guten Jahrzehnt angestoßen wurde. Sie wandten sich seinerzeit an den damaligen IOC-Präsident Jacques Rogge mit der Idee, die Crosslauf-Wettbewerbe der Leichtathleten in die Olympischen Winterspiele einzugliedern. Bekanntlich wurde daraus (ebenfalls) bis heute nichts, auch wenn das Vorhaben nicht ganz abwegig ist, denn schließlich sind Crossläufe traditionell im Herbst/Winter angesiedelt. Weitere Vorteile: Es würde auch die eh schon sehr vollen Sommerspiele zugunsten der Winterspiele entlasten. Zudem lockt Crosslauf auch und vor allem afrikanische Sportler, sie wären mit Sicherheit eine Bereicherung für Spiele im Winter und großartige Werbeträger für einen ansonsten von den Winterspielen mehr oder wenig ausgeschlossenen Kontinent. Pflieger ist allerdings skeptisch: „Das sehe ich eher kritisch, da es für mich mit klassischem Crosslaufen nicht viel zu tun hat.“ Demgegenüber Ringer: „Ich finde das interessant, weil es für Läufer dann möglich wäre, bei Sommer- und Winterspielen zu starten, auch wenn das vielleicht ein wenig unfair ist. Für die Winterspiele spricht, dass der Crosslauf eher im Winter stattfindet.“ Auch Gehring sagt: „Generell würde eine Aufnahme des Crosslaufs in das Programm der olympischen Winterspiele zumindest eher den Zeitraum der Crosssaison treffen. Und ob man auf einer Wiese läuft oder auf einer Schnee- bzw. Eisdecke, ist mit Spikes an den Füßen eigentlich egal 😉“. Ins gleiche Horn bläst Burkard: „Ich komme aus dem Schwarzwald. Viele unserer Cross Tempoläufe finden auf mehr oder weniger geschlossener Schneedecke statt. Das macht richtig Spaß, fördert Koordination, Trittsicherheit und Kraftausdauer. Also immer gerne im Schnee!“ Die Athleten scheinen also der Idee nicht gänzlich abgeneigt zu sein, sie haben allerdings das Pech selten bzw. gar nicht Funktionären gehört zu werden. Warten wir es ab, wie sich die Sache entwickelt.
Eine Absage erteilen übrigens alle unserer Gesprächspartner Obstacle Races (Strongman Run, Tough Mudder, Spartun Run) olympisch werden zu lassen. Pflieger: „Nein, das ist in meinen Augen ein sehr junger Trend, der sich zwar gegenwärtig großer Beliebtheit erfreut, dem im Gegensatz zum klassischen Crosslaufen allerdings die (Sport-)Historie fehlt.“ Und Burkard ergänzt: „Das Ganze sollte nach wie vor im Laufsport und der Leichtathletik zuhause sein, um nicht an Authentizität und sportlichen Niveau zu verlieren.“
Ich bin im letzten Jahr zum ersten Mal bei einem Crosslauf gestartet. Die Strecke war 12 Kilometer lang. Es gab sandige und matschige Stellen sowie Reifen, durch die ich laufen und Hürden, die ich überspringen musste. Mir hat der Wettbewerb viel Spaß gemacht und ich könnte mir den Crosslauf durchaus auch als olympische Disziplin vorstellen 🙂