Nepal – dort ist das Dach der Welt, hier stehen die höchsten Berge unserer Erde. Seidenraupe Lisa Hahn hat das Land kürzlich bereist und nimmt uns mit ihrem Reisebericht auf eine spannenden Ausflug mit. Insgesamt gibt es elf Teile, die immer mittwochs online gehen. Hier nun Teil acht.
Teil 8: Verfall der Menschen ist erschreckend
Beim Frühstück am nächsten Morgen kurz vorm Aufbrechen höre ich, wie jemand meinen Namen ruft: Glenn! Ich freue mich riesig ihn hier wieder zu sehen. Allerdings teilt er mir mit, dass er abbrechen und umkehren wird. Er hatte von Namche schon zwei Versuche gebraucht, um weiter aufzusteigen. Beim ersten Mal musste er nach einem Tag wieder umkehren, da er mit der dünnen Luft nicht klar kam, nachts immer wieder nach Luft schnappend aufgewacht ist und nicht mehr schlafen konnte. Bis Lobuche war er dann am Vortag doch noch gekommen, nicht über den Pass, sondern auf direktem Weg, aber weiter könne und wolle er nicht mehr. Ich bin erschüttert. Glenn war so fit, immer schneller als ich, immer gut drauf, hoffnungsvoll, motivierend und beruhigend….

Ich selber merke jetzt mit jeder Stunde, dass ich immer weiter abbaue. Am Abend zuvor lag meine Sauerstoffsättigung nur noch bei 71% und die Herzfrequenz in Ruhe bei 112. Alles, wirklich alles, ist jetzt anstrengend und unangenehm. Für mich ist es inzwischen Tag 16, seit 4 Tagen habe ich diesen fürchterlichen, trockenen Husten, den hier oben alle haben – die Nepali nennen ihn den „Khumbu cough“, in Anlehnung an den Namen der Region, Solu Khumbu. Meine Nase sitzt permanent zu, Ruan hat jeden Tag Nasenbluten. Ich spüre am rechten Fuß die Zehen nicht mehr – 3 davon werden taub bleiben, Kälteschaden. Latente Kopfschmerzen sind dein stetiger Begleiter. Durch das Diamox muss ich nachts 3 Mal pro Stunde mindestens zur Toilette. Jedes Mal schäl ich mich dafür aus dem Schlafsack, dann dem Seidenschlafsack, rein in die Schuhe, Stirnlampe und Klopapier liegen immer griffbereit neben dem Kopfkissen und dann los. Sobald ich wieder im Bett liege, muss ich erstmal wieder zu Atem kommen.

Ich habe ein Zwischentief, der Weg zum Base Camp und am nächsten Tag rauf auf den Kala Patthar (5.600 m) wird für mich zum absoluten Grenzgang, mental gesehen. Wir treffen wieder auf Jacinda. Da wir nun einige Tage auf einer Höhe > 5.000 m verweilen und dabei ausschließlich auf Gletschern unterwegs sind, ist es jetzt noch einmal spürbar kälter, die Temperatur liegt bei -17 Grad. Ich habe den Eindruck, dass Ruan und Jacinda nun fitter sind als ich, aber das hält mich zusammen.

Das Base Camp ist unspektakulär, da im Herbst keine Expeditionen da sind. Ich höre und sehe an diesem Tag 4 gewaltige Lawinenabgänge am Lhotse, dem vierthöchsten Berg der Welt. Die Anzahl der Helikopter Evakuierungen hier oben ist enorm und der sichtbare Verfall der Menschen um mich rum ist erschreckend. Viele sind nicht mehr in der Lage alleine zu gehen, sie sind zu schlecht akklimatisiert, werden von ihren Begleitern oder Guides gestützt. Wir übernachten in Gorakshep auf 5.100 m. Ruan bekommt Magen-/Darmprobleme, er hatte am Tag zuvor auf dem Pass Wasser aus einem Fluss getrunken bevor die Chlortablette es anständig reinigen konnte. Er nimmt Imodium, legt sich schlafen und hofft, dass es am nächsten Tag wieder gut ist. Ich putz mir derweil die Nase wund und huste so sehr, dass ich dabei ständig würgen muss.